Archiv für den Monat Juni 2016

eva nera (joe d’amato, I 1976)

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Das Werk Joe D’Amatos erfreut sich seit einiger Zeit steigender Popularität – die schreibende Zunft der Genrefilmliebhaber rezipiert seine Filme umfassend, und auf kleineren Filmfestivals – zuletzt dem Nürnberger Hofbauer-Kongress im Januar – widmet man sich „Onkel Joe“, dem wohl umtriebigsten Vielfilmer des kommerziellen italienischen Kinos der 70er und 80er Jahre, mit liebevollen Mini-Retrospektiven. Auch ich, der bis Ende vergangenen Jahres noch keinen einzigen seiner Filme kannte, konnte mich der allgemeinen Begeisterung nicht entziehen und stieg mit der unaufgeregten Zombie-Sexfilm-Verschränkung Le notti erotiche dei morti viventi (1980) ins Werk des Regisseurs ein. Ein zweifelsohne interessanter, in seiner hedonistisch-bekifften Laissez-faire-Attitüde auch sehr ungewöhnlicher Vertreter der Früh-80er-Zombiewelle, der mich allerdings eher rat- und auch etwas teilnahmslos zurückließ. (Einen schönen und aufschlussreichen Text zum Film, dem ich mich mittlerweile – nach Genuss etwa eines Dutzends weiterer D’Amato-Werke – durchaus anschließen kann, gibt es von Oliver Nöding auf Remember it for later.)

Mittlerweile habe ich meine D’Amato-Kenntnisse um die berüchtigte Black Emanuelle-Reihe, einige reine Horrorfilme (darunter Perlen wie das barocke Verfallspoem Buio Omega (1979)) und diverse Frühwerke erweitert – und mit besonderer Begeisterung einen ersten großen Favoriten im Oeuvre des Regisseurs auserkoren: Eva nera (1976), eher noch dem Frühwerk zuzurechnen und eine der ersten Zusammenarbeiten zwischen D’Amato und Softcore-Ikone Laura Gemser. D’Amato sollte noch im gleichen Jahr in die Black Emanuelle-Reihe einsteigen und mit Gemser in der Titelrolle sämtliche weiteren Abenteuer der rassigen Skandalreporterin inszenieren. Im Gegensatz zur provokanten Transgressivität eben dieser Filme, die Hardcore-Sex, Sodomie und Splatter in allen erdenklichen Varianten ausspielen, legt D’Amato mit Eva nera einen eher subtilen und hintergründigen Film vor, der sowohl auf expliziten Sex als auch auf blutige Details verzichtet.

Die von Holland nach Hongkong reisende Schlangentänzerin Eva (Laura Gemser) lernt während ihres Fluges den wohlhabenden Jules (Gabriele Tinti) kennen, der sie nach der Ankunft sogleich seinem deutlich älteren Bruder Judas (Jack Palance) vorstellt. Judas, selbst Schlangensammler und begeistert von Evas Exotik, bietet ihr an, bei sich und Jules zu wohnen – Eva willigt zögernd ein, beginnt jedoch schon bald, gelangweilt vom Prunk und Glanz ihres neuen Umfelds, eine lesbische Beziehung mit der Europäerin Gerri (Michele Starck). Eines Abends wird Gerri von einer von Jules im Schlafzimmer ausgesetzten Schlange gebissen und stirbt. Ihr Tod wird als Unfall deklariert, doch Eva ist vom vorsätzlichen Mord überzeugt – sie lockt Jules unter einem Vorwand auf ihre philippinische Heimatinsel und nimmt Rache.

D’Amato inszeniert – vom verstörenden Finale abgesehen – ein Leben der luxuriösen, genussorientierten Oberflächlichkeit: das mondäne Hongkong der 70er könnte kaum klischeehafter dargestellt werden, die Perspektive des westlichen Urlaubers, den es nach diskretem, unverfänglichem Exotismus dürstet, prägt nahezu jede Einstellung. Schick, aber steril wirken die Apartments und Clubs, in denen offenherzig jedem sinnlich-erotischen Affekt nachgegangen wird und die zum Schauplatz minutenlanger, der Narration enthobener Tanz-, Dusch-, Massage- und Fummelszenen werden. Die Grenzen des geschmackvoll-weichgezeichneten Softpornos werden dabei nie überschritten und Eva nera wäre letztlich wohl auch nicht mehr als ein solcher, wäre da nicht die traumwandlerische, surreale Poesie, mit der das überkultivierte Setting zur unwirklichen und höchst zerbrechlichen Seifenblase stilisiert wird. Die den Film latent durchziehenden Spannungen (der immer drohende, tödliche Biss der Schlangen, die zarte, aber wilde Schönheit Evas, die Jules und Judas in grenzenlosem Chauvinismus zu „domestizieren“ versuchen) entladen sich schließlich im dunklen Finale, das die dezente Reserviertheit des Vorausgegangenen jäh durchbricht. Auf der abgelegenen Insel wird Jules von Eva in einen Hinterhalt gelockt, überwältigt und – nach altem Ritual der Ureinwohner – mit einer in den Anus eingeführten Schlange zu Tode gequält. Der im Film durchgehend aufgebaute Kontrast zur Leben schenkenden Eva der Schöpfungsgeschichte wird hier noch einmal ins Extrem überhöht: die selbstbestimmte, freizügige Weltbürgerin wird zur panischen Horrorvision – zur „schwarzen“ Eva, zur todbringenden Wilden.

Das chauvinistisch-kolonialistische Angstbild der wilden schwarzen Frau, das auch in den Black Emanuelle-Filmen immer wieder eine zentrale Rolle einnimmt, mag beim modernen, in Gender-Fragen sensibilisierten Zuschauer sicher erst einmal Ablehnung hervorrufen – die Subtilität, mit der D’Amato den drohenden Einbruch des Primitiven und Unkontrollierten in die schimmernde Luxuswelt der Brüder auf die Leinwand bannt, könnte jedoch kaum faszinierender ausfallen. Die zerklüftete, sich in wildes und unwegsames Gelände einzwängende südostasiatische Millionenmetropole steht dabei, ebenso wie Judas‘ Schlangensammlung, symbolisch für den schmalen Grat zwischen Kultur und Wildnis, zwischen domestiziert und ungebändigt. Das fragile Gleichgewicht steht von Anfang an auf der Kippe – was in abstrahierter Form insbesondere im von Bruno Mattei brillant montierten Vorspann deutlich wird, der verschiedene Einstellungen in Hongkong landender Passagierflugzeuge aneinanderschneidet. Der Gedanke beim Anblick der riesigen, über die Häuserschluchten gleitenden Stahlkarossen, die bei jedem Windstoß gefährlich ins Trudeln kommen und die Fassaden der Wolkenkratzer scheinbar nur um Haaresbreite verfehlen, kann eigentlich nur einer sein: irgendwann wird es böse enden.

 

Fassungs-Info:

– deutsche DVD-Veröffentlichung von X-Rated (2014)

the vvitch (robert eggers, USA/GB/CDN 2015)

witch_ver3_xlgIm Januar diesen Jahres wurde ich das erste Mal auf Robert Eggers‘ The VVitch aufmerksam, als ich auf Spotify über die aufregende Filmmusik Mark Korvens – eine avantgardistische Klangkomposition für Streicher, Frauenchor, Waterphone und andere exotische Instrumente – gestolpert bin. Ein kurzer Blick in die IMDb versprach dann auch auf filmischer Ebene eine Besonderheit. Der kürzliche Kinobesuch hat diese Erwartungen voll und ganz bestätigt: ein großartiger, bedrückender, aber auch beglückender Film – eine historische Aufarbeitung früher Hexenhysterie im puritanischen Neu-England des 17. Jahrhunderts, nüchtern inszeniert, in antiquiertem Old English und beruhend auf akkuraten historischen Quellen. „A New England Folktale“ verspricht die Tagline treffend.

Historische Horrorfilme sind leider selten geworden (Hexenfilme erst recht), und obwohl Eggers einen realistischen, künstlerischen Ansatz wählt, der mit den exploitativen Genrefilmen der 70er Jahre kaum noch etwas zu tun hat, fühlt man sich dennoch angenehm nostalgisch berührt. Gerade das furiose Ende ruft den surrealistischen Exzess großartiger Satanismus-Filme vergangener Jahrzehnte ins Gedächtnis. Trotzdem sind weite Teile des Films außerordentlich subtil und psychologisch angelegt. Die Geschichte einer Familie, die wegen ihres zu kompromisslos gelebten (!) Glaubens aus einer Kolonie verstoßen wird und auf einer kahlen Waldlichtung ihr Exil errichtet, ist beklemmend inszeniert, in grauen, farbentsättigten Bildern, und zeigt den allmählichen psychischen Verfall, angeregt durch die Angst, alleine und ohne den Schutz der Siedlung nicht mehr zurechtzukommen. Erst verschimmelt der Mais, dann verschwindet das Baby. „Gott“ scheint sich gegen die Familie zu wenden. Unter den Familienmitgliedern brodelt die religiöse Hysterie: es muss ein Fluch sein, der Teufel ist im Spiel. Als die anderen Kinder vermeintliche Symptome von Besessenheit zeigen, richtet sich der Hass gegen die älteste Tochter, die gerade die ersten Anflüge ihrer aufkeimenden Sexualität erlebt.

Eggers‘ Film zeigt auf beeindruckende Weise, wie sich religiöse Gefühle in einer Ausnahmesituation – und in der spezifischen Dynamik einer familiären Gruppe – zum selbstzerstörerischen Wahn entwickeln. Obwohl die Hexe einige Male im Film in jeweils unterschiedlicher körperlicher Erscheinungsform gezeigt wird, bleibt es im Unklaren, ob sie wirklich existiert oder nur das Produkt paranoider Angstprojektionen ist. Das Verhalten des Sohnes, der zunächst im Wald verschwindet und einige Tage später völlig nackt und zerschunden wieder am Haus auftaucht, scheint zudem von der zunehmenden Hysterie der Eltern einerseits und seiner Bindung an sie andererseits beeinflusst. Das Ur-Vertrauen zum Elternteil löst auf dem Krankenbett auto-suggestive, psychosomatische Symptome aus, die die antrainierten religiösen Ängste bestätigen: Fieber, Krampfanfälle, Erbrechen von Blut. Zu berücksichtigen wäre letztlich auch der Effekt der Ausgrenzung, der bei den Verstoßenen das Gefühl der Andersartigkeit und damit die Zweifel am „rechten Glauben“ noch verstärkt. War die Ausweisung aus der Siedlung gerechtfertigt? Haben die Richter der Kolonie die wahren Hexer verstoßen?

Viele der projizierten Ängste richten sich in Eggers‘ Film auf die Symbole der Natur. So ist nicht nur die Sexualität der ältesten Tochter angstbesetzt, auch die Tiere des Waldes werden – entsprechend der christlichen ikonographischen Tradition – als Manifestationen satanischer Präsenz inszeniert: der linkische Hase, der triebhafte Ziegenbock, der todbringende Rabe. Jedem Tier werden mehr oder weniger prägnante Sequenzen im Film gewidmet (insbesondere in der surrealen, blutigen Kulmination des familiären Konflikts gegen Ende des Films haben Rabe und Ziegenbock beängstigend intensive Auftritte), aber auch in den eher beiläufigen Momenten ringt die eindringliche Bildkomposition den eigentlich harmlosen Erscheinungsbildern der Tiere unheilvolle, subtil verängstigende Wirkungen ab. (Ein kurzes Wort zur Wahl des Bildformats: Eggers entschied sich für ein „zeitloses“ 1,66:1, welches dem Trend der zeitgenössischen Widescreen-Ästhetik entgegenläuft und beengende, konzentrierte Bildräume schafft. Der fokussierende Charakter des schmalen Bildes zwingt die Zuschauer in die ideologisch aufgeladene, hypersensible Perspektive der Familie: in jeder alltäglichen Erscheinung – seien es die Tiere, die Bäume oder ein Maiskolben – könnte sich das Verderben verstecken. Ein faszinierender Kunstgriff, der die behandelten Probleme der religiös überprägten Wahrnehmung subtil ins Filmische übersetzt.)

Vom „Satanic Temple“, einer politisch-aktivistischen Organisation, die sich sowohl der christlichen Kultur der USA kritisch widersetzt als auch den traditionellen Satanismus einem rationalistisch-humanistischem „Re-Thinking“ unterzieht, wurde The VVitch hochgelobt und beschrieben als „an impressive presentation of Satanic insight that will inform contemporary discussion of religious experience“. In der Tat ist Eggers‘ Film wichtiges, aufklärerisches Kino, das durch seine auf Breitenwirkung angelegte Vermarktung (man beachte z.B. die Konventionalität des Kinoplakats) scheinbar auch beim größeren Publikum prägende Wirkungen erzielen wollte. Bei Betrachtung des derzeitigen Einspielergebnis dürfte das gelungen sein, auch wenn negative Mundpropaganda durch diejenigen, die konventionelles Horrorkino erwartet haben, nicht zu vermeiden war und dem Film in den ersten Wochen nach Kinostart einige Umsatzeinbrüche beschert hat. Nichtsdestotrotz ist dem Film der Erfolg von Herzen zu gönnen. Die realistische, historisch exakte und mit wohldosiertem surrealem Schockmoment versehene Studie über die psychologischen Mechanismen religiöser Hysterie hat das Zeug zum Klassiker.