Archiv für den Monat Juli 2016

verführung: die grausame frau (elfi mikesch, monika treut, BRD 1985)

verführungAuch wenn das nebenstehende Videocover von Elfi Mikeschs und Monika Treuts Verführung: Die grausame Frau (eine ramschige Videotheken-Version des Originalplakats) den sublimen Qualitäten des Films kaum gerecht wird – es lässt durchaus erahnen, wie der Undergroundfilm seinerzeit vom „uneingeweihten“ Publikum wahrgenommen wurde. „Diese Mischung aus Fäkaliensprache und Erotik kann niemandem zugemutet werden“, äußerte der damalige Innenminister Friedrich Zimmermann schon nach Lektüre des Drehbuchs – die in Erwägung gezogene Filmförderung von 250.000 DM war damit vom Tisch. Der Katholische Filmdienst meinte dann zum fertigen Film: „Die Perversion des Masochismus wird weder erklärt noch wird für Verständnis bei den ‚normalen‘ Kinogängern geworben. […] Rundum überflüssig und ärgerlich.“ Der Video-Verleih übernahm diese Einordnung scheinbar kritiklos und spendierte dem Film eine Veröffentlichung, die ihr Dasein über die Jahre hinweg vermutlich in den hintersten Ecken der Sex- und Pornoabteilungen der Videotheken fristen musste – und 1987 sogar auf dem Index landete. (Eine „seriöse“ Videoveröffentlichung, die vom Jugendschutz unbehelligt blieb, erfolgte erst einige Jahre später in der Filmgalerie 451.)

Im Vergleich mit den zuletzt besprochenen Mikesch-Filmen kommt Verführung: Die grausame Frau – entstanden in Co-Regie mit Queer-Cinema-Autorin Monika Treut – eine klare Sonderstellung zu: anders als die dokumentarischen Arbeiten der späten 70er ist Elfi Mikeschs erster Spielfilm provozierend, subversiv und anti-bürgerlich, gibt sich in seiner radikalen Gestalt weitaus kämpferischer und angriffslustiger als die vorangegangenen Filme der Regisseurin. Mikesch und Treut entwerfen ein wildes, surreal überzeichnetes Porträt sadomasochistischer (Sub-)Kultur, das zwar nicht visuell, aber immerhin motivisch an Mikeschs feministische Schwarz-Weiß-Kurzfilme Die blaue Distanz und Das Frühstück der Hyäne (beide 1983) anschließt. In beiden Filmen stehen weibliche Identitätskrisen und Ausbrüche aus männlich dominierten Machtverhältnissen im Mittelpunkt – in Verführung dagegen scheint es die männliche Vorrangstellung schon lange nicht mehr zu geben; die Frau herrscht mit größter Selbstverständlichkeit.

In lose verbundenen Episoden begleitet der Film die Domina und BDSM-Künstlerin Wanda (Mechthild Großmann), die in ihrer Kunstgalerie im Hamburger Hafen sadomasochistische Performances und Bühnenshows inszeniert. Besonderes Augenmerk liegt dabei auf Wandas privatem und professionellem Umfeld, das sich der kalten Dominanz ihrer Chefin teils bereitwillig, teils leidend unterwirft: Wandas lesbische Lebensgefährtin Caren (Carola Regnier) und die aus Amerika anreisende Geliebte Justine (Sheila McLaughlin) versuchen sich Wandas strenger Führung zunächst zu widersetzen, kapitulieren jedoch bald, und auch der romantische, sich in Wanda verliebende Gregor (Udo Kier) muss die Unerreichbarkeit seiner Herrin akzeptieren und Wandas Verführung als grausames Spiel anerkennen, bei dem es niemals zur gleichberechtigten Liebe auf Augenhöhe kommen kann.

Wandas Sklaven, aber insbesondere die Männer, sind in Verführung erbärmliche Würmer, kriechen im Dreck und lecken Pissoirs und Toilettenböden sauber. Wanda ist die monströs übersteigerte Imagination der „grausamen Frau“, die jedoch – so Monika Treut in ihrer dem Film zugrundeliegenden Dissertation – nur dem männlichen Angstbild unabhängiger, selbstbestimmter Weiblichkeit entspringt. Die emanzipierte, sexuell selbstbestimmt lebende Frau wird zum übermächtigen Faszinosum, das sich der männlichen Beherrschungsphantasie entzieht und der selbst die Schüsse aus Gregors Revolver nichts mehr anhaben können. Am Ende erntet der erniedrigte Gregor nur schallendes Gelächter, die Schusswunde an Wandas Hand ist nicht mehr als ein kleiner Kratzer.

Ein besonders subversiver Moment, und vielleicht meine Lieblingsszene des gesamten Films: der Journalist Maehrsch (Peter Weibel) befragt Wanda in einem Interview über ihre Sexualität und Lebensweise, kommentiert ihre BDSM-Shows herablassend aus der Perspektive des biederen Kleinbürgers („eine Frau mit ihrer Bildung könnte doch mehr aus sich machen“), entdeckt jedoch im Laufe des Gesprächs seine masochistischen Bedürfnisse und wird prompt zur menschlichen Toilette. Die bürgerliche Identifikationsfigur wechselt innerhalb weniger Minuten die Seiten und nimmt die neue Rolle des unterwürfigen Sklaven dankbar an – für die Schreiberlinge des Katholischen Filmdienstes sicherlich ein echter Alptraum.

 

Fassungs-Info:

– deutsche VHS-Veröffentlichung von Rainbow’s Media Entertainment (1986)
– deutsche VHS-Veröffentlichung von Filmgalerie 451
– deutsche DVD-Veröffentlichung von Absolut Medien