blue sunshine (jeff lieberman, USA 1978)

blue-sunshine-movie-poster-1978-1020209285Blue Sunshine funktioniert eigentlich am besten, wenn man sich im Vorfeld so wenig wie möglich über ihn informiert. Ich möchte daher auch einige zentrale Elemente des Plots unerwähnt lassen und nur grob die Grundzüge der Handlung umreißen: Jerry Zipkin (Zalman King) wird auf einer Party Zeuge eines Amoklaufs – sein Freund Frankie, dem alle Haare ausgefallen sind, verliert in einem Anfall irrationaler Aggressivität jegliche Beherrschung und wirft einen weiblichen Partygast in den Kamin. Kurze Zeit später greift er auch Jerry an und nach einer Verfolgungsjagd durch die Nacht endet der unerklärlicherweise dem Wahnsinn Verfallene vor einen vorbeifahrenden Lastwagen. Jerry flieht vom Ort des Geschehens, wird vom misstrauischen Lastwagenfahrer jedoch verletzt. Er lässt sich beim Arzt David Blume, einem alten Bekannten, behandeln – und staunt nicht schlecht, als er entdeckt, dass auch David die Haare ausfallen. Am nächsten Tag liest Jerry zufällig in der Zeitung, dass ein glatzköpfiger Polizist im Wahn seine gesamte Familie abgeschlachtet hat…

Liebermans Film erklärt im weiteren Verlauf einiges (vielleicht sogar etwas zu viel), versteht es aber dennoch auf bemerkenswerte Weise, den Zuschauer zu irritieren und zu verstören. Bis einigermaßen klar wird, was hinter den Amokläufen und Gewaltausbrüchen steckt, vergeht eine gute Dreiviertelstunde und selbst danach bleibt noch vieles im Unklaren. Es ergeben sich Verbindungen zu einem Politiker (Mark Goddard), der sich gerade im Wahlkampf befindet und von dem Jerry in der Wohnung seines Freundes Frankie eine bizarre Fotomontage findet. Sie zeigt den Gouverneurs-Kandidaten als bunt gekleideten, psychedelischen Messias – darunter der Schriftzug: Blue Sunshine.

Die Verstrickung der Politik in mysteriöse Fälle wahnhafter Gewaltausbrüche erinnert an Verschwörungsthriller wie Alan J. Pakulas vier Jahre zuvor entstandenen The Parallax View (1974) – mit Pakulas Film teilt Blue Sunshine auch die zunächst unzusammenhängend anmutende, verwirrende Exposition, die dem Zuschauer ein Gefühl der Desorientierung und des Ausgeliefert-Seins vermittelt, sowie die Konzentration auf „kalte“ Locations wie Hoch- und Krankenhäuser, Einkaufszentren und sonstige Orte moderner Stadtarchitektur. Das Finale ereignet sich wie bei Pakula im Rahmen einer Wahlkampfveranstaltung und statt der echten Verantwortlichen wird am Ende nur der ebenfalls von Wahn und Haarausfall geplagte Bodyguard des Politikers aus dem Verkehr gezogen – die Hintermänner, so scheint es, werden weiter im Dunkeln bleiben. Das während der Wahlveranstaltung spielende Marionettentheater wird so zum treffenden Sinnbild einer manipulierten, in Unwissenheit gehaltenen Gesellschaft.

Wie bereits geschrieben, hätte Blue Sunshine möglicherweise noch größere Wirkung entfaltet, hätte er gegen Ende weniger erklärt und vor allem die medizinischen Gründe für die Amokläufe nicht eindeutig offengelegt. Dennoch, eine echte Aufklärung der Hintergründe gibt es nicht, das Bild des Politikers bleibt schemenhaft und unvollständig, zentrale Fragen stehen weiterhin unbeantwortet im Raum. Was bleibt, ist das nagende, brodelnde Gefühl der Verunsicherung – einer Verunsicherung über die Verfassung der Gesellschaft, die ganz plötzlich, aus heiterem Himmel von dunklen Kräften zerrissen werden kann. Großartig ist in diesem Zusammenhang die episodisch gestaltete, vom psychedelisch-avantgardistischen Score höchst wirkungsvoll vertonte Eröffnungssequenz, die den von Kopfschmerzen geplagten Arzt, eine gestresste Nanny mit Haarausfall und einen psychotisch dreinblickenden Ehemann zeigt, der kurz darauf seine Familie umbringen wird. Zwischen diesen kurzen Episoden schwenkt die Kamera in einer geschickten Überblendung immer wieder hinauf zum blassen Vollmond, der nicht nur die glatzköpfigen Wahnsinnigen bildlich vorweg nimmt, sondern auch zur stummen, mysteriösen Instanz wird, die alles zu steuern scheint – und am Ende des Films immer noch so rätselhaft am Nachthimmel steht wie zu Beginn.

Erfreulicherweise wurde Blue Sunshine vor kurzem vom wiederentdeckten Originalnegativ abgetastet. In den USA gab es bereits Kinovorführungen eines neuen 4K-Masters, eine Bluray ist ebenso in Planung. Bleibt abzuwarten, ob irgendwann auch eine europäische HD-Veröffentlichung folgt, die die wenig überzeugende deutsche DVD von cmv-Laservision ablöst.

 

Fassungs-Info:

– deutsche DVD-Veröffentlichung von cmv-Laservision (2005)

Veröffentlicht am 26. Februar 2016 in Allgemein und mit , , , , , , getaggt. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink. Hinterlasse einen Kommentar.

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